Der Transfer: Die Geschichte einer großen Schlappe

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Wahrscheinlich ist nun genug Zeit vergangen, und so kann ich einige bislang unbekannte Details über die größte Schlappe unserer berühmtesten Fußballmannschaft verraten. Es geht um den ukrainischen Meister Torpedo Kiew. Auf den ersten Blick mag euch meine Geschichte unglaubwürdig, ja sogar unwahrscheinlich vorkommen. Aber wer sich noch an die Emotionen erinnert, die das grauenvolle Spiel zwischen dem Meister aus der Hauptstadt und dieser Amateurmannschaft aus der Provinz hochkochen ließ, wird sicher verstehen, worum es in meiner Erzählung geht, und einsehen, dass nichts erfunden ist. Verblüffend ist vor allem, dass all die Dinge, die zu dieser Schlappe geführt haben, mit Fußball gar nichts zu tun haben. Das klingt merkwürdig, ist aber wahr. Am besten erzähle ich einfach, wie es war.

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In der Nacht, als Tjomyk und ich aus Kiew abhauten, um uns vor den Mitarbeitern der italienischen Botschaft , der Kiewer Polizei, einer kleinen Schar Fußballfans, vier Vorstehern des FC Torpedo und einigen wütenden Funktionären des ukrainischen Fußballbunds in Sicherheit zu bringen, ging ich in Gedanken die Geschehnisse der letzten zehn Tage wieder und wieder durch, um zu begreifen, wie es zu dieser verworrenen Situation gekommen war. Und dann fielen mir zwei Ereignisse ein, die zu dem geführt hatten, was die Presse zu Recht als „unrühmlichste, peinlichste und beschämendste“ Niederlage in der Geschichte der Kiewer Mannschaft bezeichnet hatte.

Den Anstoß zu allen folgenden Ereignissen gab meine Pleite mit den Wegwerfbrillen für die Sonnenfinsternis. Vielleicht wisst ihr noch, wie Anfang letzten Herbstes die ganze Ukraine der Sonnenfinsternis entgegenfieberte. Weil sie tagsüber eintreten und noch dazu auf einen freien Tag fallen würde und weil es in den Massenmedien schon einen Monat im Voraus kein anderes Thema mehr gab, wollten alle dieses Ereignis mit eigenen Augen verfolgen. Die zentralen Plätze der großen Städte wurden fürs Public Viewing hergerichtet, die Leute taten sich zusammen, um die Hochhausdächer zu putzen und von dort aus das Verschwinden des Lichts zu beobachten. Aber keiner hatte daran gedacht, dass der größte Teil der Sonne auch während der Finsternis ziemlich kräftig strahlen und all die Zuschauer, die keine speziellen Schutzgläser trugen, unbarmherzig blenden würde. Daraufhin kam ich auf die glänzende Idee, vor Ort einfache Papp-Sonnenbrillen an die Beobachter zu verkaufen. Eine gründliche Marktanalyse ergab, dass ich allein in den großen Städten zweihundertvierzigtausend Papierbrillen verkaufen könnte! Ich dachte nicht lange nach und lieh mir bei einem meiner Gangsterfreunde die nötige Summe in US-Dollar (in bar, mit kurzer Laufzeit, aber mit Wahnsinnszinsen), orderte in China einen halben Container Wegwerfbrillen und stellte fünfundachtzig junge Leute ein, Promoter, wie es heute heißt, die die Ware unters Volk bringen sollten.