Gedichte von Jurij Klen
Als Beispiel für Burghardts zahlreiche Gedichte mit weltliterarischer Thematik hier Othello. Typisch für die Neoklassiker in strenger Sonettform. Es handelt sich um eines der frühen Gedichte mit Ausgangssprache Russisch.
OTHELLO
Unterm Baldachin schläft sie friedlich,
ihre Brust bewegt sanft das unruhige Deckbett,
es scheint, als ob die arabische Seide atmet,
das Weiß der Kissen peinigt sie im Traum.
Ins venezianische Fenster gießt der Mond
sein durchsichtiges Licht,
das immer höher gleitet und zitternde Muster auf den Boden stickt.
In den Kanälen plätschern schläfrige Wellen.
Doch da: Zwei Arme wie bronzene Schlangen,
wie Hälse gebogen die schwarzen Handgelenke,
verflechten sich zu einem stummen, verzweifelten Knoten.
Die vom Lichtstrahl versilberte Klinge erstarrt
und der Mohr beugt seinen dunklen Schatten,
einer schwarzen Zypresse gleich, über die schlafende Desdemona.
Quelle: Klen, Jurij (1992): Twory. Band 1. New York, S. 330.
Ein Beispiel eines ukrainischen Gedichts von Burghardt ohne ukrainische und politische Inhalte und ohne feste Strophenform.
WORTE UND BLUMEN
Wir brachen den Jasmin,
legten aus Rosen einen Kelim
und im weißen Traum blütengeschmückter Orgien
lasen wir Stefan George.
Wie lose Blütenteile
fielen die feierlichen Zeilen.
Immer weiter traten auseinander die Wände,
wir schwebten in unbekannte Länder
auf einem goldenen Schiffsgefährt,
und die wahren Konturen der Welt
entschwanden im Dunst
der lyrisch-blauen Ruhe…
Es wiegte uns der Refrain,
weiß rauschend brodelte der Reim.
Der Abend wurde langsam blau
und ich verwirrte Worte und Blumen
auf der Stickerei halbwelker Pflanzen,
wo der „Siebente Kreis“ uns führte zusammen.
Und in der sanften Musik der Mysterien
lag der Geist von Tierherden, Meeren und Prärien.
Und wenn ich jetzt und hier
die klingenden Verse deklamier,
summen zwischen den Strophen Georges
stets die Worte der blumengeschmückten Orgien:
Wir sprachen sie bis zu hundert
Mal mit dem leisesten Flüstern unserer Münder.
Quelle: Klen, Jurij (1992): Twory. Band 1. New York, S. 110f.
Es folgen einige typische Beispiel für Burghardts Spätwerk: ukrainische Ausgangssprache, Ukraine als Thema, strenge Sonettform, gelungener Einsatz der Stilmittel.
SKOWORODA
Gehen, gehen, ohne Zweck und Ziel…
In sich aufnehmen Wald und Feld
und Wind und Weite und das grenzenlose Himmelshell.
„Blühe, Blühe!“ zurufen der Seel‘.
Bis eine eigene Welt in ihr reift,
mit eigenen Sonnen und Sternen,
und stillen Wassern, durchsichtigen, reinen.
Herrlicher Weg der klaren Einsamkeit.
Gehen bei Schnee und Wind, bei Regen und Sturm
und durch der Weisheit Wein lindern den Gram.
Denn vielleicht ist das unser ewiges Vermächtnis,
dieses weite und grenzenlose Wandern.
Möglicherweise gibt es keinen andern
Weg, um aus dem Chaos der Seele eine Welt zu erschaffen.
Quelle: Klen, Jurij (1992): Twory. Band 1. New York, S. 89f.
Skoworoda war ein bedeutender Philosoph und Dichter des 18. Jahrhunderts. In seinen letzten Lebensjahrzehnten wanderte er als Pilger umher und schrieb seine bedeutendsten Werke. Seine Philosophie war von den Neuplatonikern, dem Stoizismus und Mystizismus beeinflusst.
LOT
I.
Wenn die schrecklichen Erzengel, die die Sterne bewegen
und das Schicksal der Welt auf ihren Schwertern wiegen,
dir in den Träumen erscheinen,
um Zerstörung, Tod und Schmerz zu prophezeien,
lass deine Schätze zurück: Flieh!
Mag auch ein flammendes Meer tosen hinter dir:
das schreckliche Sodom und verdammte Gomorra.
Dich aber führe der Weg in die Ferne hinfort.
Sieh dich nicht um, sonst erschreckt dich
der sich wie eine Schlange ringelnde Pestdunst,
und du erstarrst augenblicklich zu einer Salz
s
ä
u
l
e.
Du ragst auf als Denkmal des Verrats,
als ewige Fackel deiner Schande
zum Spott der Nachkommen, zur Abschreckung für den Plebs.
II.
Nein, trage du die Keime aus dem Gärtchen deiner Seele
durch Sturm und Brände
in der stillen Wärme deiner Hände,
damit von neuem aus ihnen hervorgeht eine Lilie.
Denn einst sollen die Hügel wieder von Weiden sein bedeckt,
erneut wird dem Dichter die Stirn mit einem Kranz geschmückt.
Von neuem werden die Auen grün
und Frühlingswellen spülen den schwarzen Schlamm hinweg.
Durch den flammenden Lärm schrecklicher Brände
horche wachsam auf das entfernte Glockengeläut,
das von unsichtbaren Türmen herbeitragen Winde.
Es reifen wie Weintrauben die Tage der Zukunft
durch Rauch, durch Glut und Dunst,
senken sie ihre berauschende Fülle auf deine Hände.
Quelle: Klen, Jurij (1992): Twory. Band 1. New York, S. 62f.
CORTÉS
I.
Ins märchenhafte Land, unter Palmen und Agaven,
wo wie dunkle Trauben Inseln reifen,
trieb dich rasch durch die Weite der Meere
die Gier nach Gold, Abenteuer und Ruhm.
Es bedecken sich mit dem Purpur der Morgenröte
die klingenden Segel der leichten Schiffe
und irgendwo hinter sandiger Unendlichkeit lockte
der unbekannte Schatz eines überseeischen Reichs.
Jahrelang hegtest du den Traum, – jetzt
wird er zwischen blauen Seen
lebendig, verkörpert in einem sichtbaren Felsen.
Sieh, es flimmert gegen die Sonne
jenes Mexiko mit seinen goldenen Dächern,
das, einer Posaune gleich,
durch Legenden donnert.
II.
Vielleicht sind sie oft in Kinderträumen
dir erschienen, die zauberhaften, fernen,
goldhäutigen und traurigen Azteken
mit Verachtung in den dunklen Augen.
Und du sahst durch Nebel und uralte Angst,
wie der Idole aufgerissene Rachen
im Dunst der Brände barsten vor Hitze
und Tränen aus Gold über ihre Wangen floss.
Dich erinnernd, zügeltest du das Pferd, gedankenversunken…
Grüngefiedertes Reich Moctezumas! –
Sind es vielleicht nur Vision und Mythos,
die zu Asche werden, vergehen in schwarzem Rauch
und als wilde, unwiederholbare Blüte blühen
in den Erinnerungen zukünftiger Jahre?
Quelle: Klen, Jurij (1992): Twory. Band 1. New York, S. 55f.
WOLODYMYR
I.
Ein Mönch von Byzanz gesandt,
Bilder des Jüngsten Gerichts, der Unterwelt
und paradiesischer Lilien dem Fürsten vorstellt‘,
die der erfinderische Künstler hat gemalt.
Höre! Die furchtgebietende Frist, sie naht.
Es fliegt der schwarze Schrei einer Fanfare übers Feld.
Aus Gräbern steigen wieder Verbrecher und Held
und der Weg in die Ewigkeit liegt vor ihnen gerad.
Wie soll man ihn durchschwimmen,
den Salzsee aus jenen Tränen, die Rohnida vergoss,
und den roten Fluss aus brüderlichem Blut?
Aber der Nebel langsam verfloss
und schon strahlt die unbekannte Weite der Jahrhunderte
in der Hoffnung Rosa.
II.
Goldener Schnurrbart, der Kopf silbern…
Wie sie ihn durch Schmutz und Staub gezogen haben!
seine Tage gleichen gemähtem Gras,
in seinen Weiten schaukelte ihn der Dnipro.
Und das Schicksal, an Worten nicht reich,
zählt jeden Atemzug, jede Bewegung.
Schon zeichnet es in den Sternen einen anderen Weg vor,
einen, der bedeutet Saat- und Erntezeit.
Nur im Traum scheint dem Fürsten,
dass die Stadt Löwenschreie in die Weite schickt,
während sie ihren Kreis langsam erweitert.
Und er ist erschrocken, versteht nicht,
was jener Wirbelwind von Bewegung, Licht
und das Gold der Kuppeln, das gegen die Sonne anscheint, bedeuten und sind…
III.
Über weite Flure herrschend,
steht er, in Bronze gegossen, auf dem Berg.
Unter ihm wogt ein Kastanienmeer
und vom Dnipro trägt Gesang herbei der Wind.
Er erlebte nicht einen einzigen Sturm in seinem Gewand.
Die Jahre vergingen wie Nebelfetzen.
Nun donnert unter Flugzeuglärm
der roten Fahnen unselige Brand.
Im Frühling sieht der Fürst alljährlich,
wenn er den fernen Horizont betrachtet: Es birst das Eis.
Und er erinnert sich, wie nach schlechten Zeiten,
ohne Spuren zu hinterlassen, sowohl
die wilden Petschenegen als auch die grausamen Obren untergingen,
und ein Lächeln umspielt seinen ernsten Blick.
Quelle: Klen, Jurij (1992): Twory. Band 1. New York, S. 130ff.
Wolodymyr war ein Fürst der Kiewer Rus und Begründer des Christentums in der Ukraine. In den Sonetten geht es um ihn, aber auch um seine Statue, die im Zentrum Kiews auf einem Hügel über dem Dnjepr steht.
Rohnida: Tochter eines Warägerfürsten aus dem 10. Jahrhundert, die gemäß einer Legend aus der Nestorchronik von Volodymyr geraubt worden war und deren Nachkommen deshalb mit den Nachkommen Wolodymyrs Krieg führten.
Petschenegen und Obren: Volksstämme, der zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert das Gebiet der heutigen Ukraine und damit das Christentum mehrfach angriffen.
SOFIJA
„Die Kirche der Heiligen Sofija in Kiew soll abgetragen werden.“ – Zeitungsmeldung
„Geheimnisse eines Jahrtausends bleiben in der schlanken Sofija bestehen,
die erbleicht ist, aber noch klarer, noch höher
ins Himmelblau wuchs als ein Gebet.“ – Je. Malanjuk
Möge dein Läuten die Flugzeuge betäuben.
Mögen sie dich abtragen und mögen sie an dem Ort,
den die Jahre und Jahrhunderte geweiht haben,
ein Denkmal der dunklen Zeit aufstellen.
Mögen sie einen schwarzen Wolkenkratzer aufmauern,
dort, wo du weiß-golden stehst,
oh, schlanke Lilie, mit einem Halsschmuck aus Tau,
die du schätztest die Weisheit Jaroslaws!
Möge der moderne Petschenege
das angelaufene Gold der Kuppeln mit seinem Pferdegeschirr zerschinden
und stets eine Spur seiner blasphemischen Füße zurücklassen:
Es ist nur ein Trugbild, das uns in Erstaunen versetzt
und das nur eine kurze Zeit dauern wird.
Wenn sie den Saal aus Beton und Glas aufbauen
und der elektrische Sturm verschalt wird,
dort, wo die heilige Dämmerung lag
und wo im schläfrigen Traum Byzanz ruhte,-
dann wisse: Dies alles geht unwiderruflich vorbei.
Genauso spukten irgendwann die Tataren vorüber.
Und wieder rief ein Zauberer seinen Zauber herbei,
und du siehst die Gespenster des Nichtseins.
Die wahre Welt – nicht die, die für das Auge sichtbar ist -,
schaukeln die strengen Seraphime
auf den Waagschalen ihrer Handflächen,
während sie mit ihren Flügeln Feuer durchschneiden.
Sie wird schwer und reift wie eine Frucht,
Flüssigkeit aus unbekannten Schößen schießt ein,
und der dunkle Saft singt und stürmt,
wie Wein aus göttlichen Trauben.
Irgendwann offenbart sich jedem, wie ein Wunder,
das Wesen alles Irdischen.
Es wird wieder Tag… die Welt blitzt auf und es fällt dir
wie Schuppen von den geblendeten Augen.
Im geweihten Schrecken sonderbar versteinert,
als ob jemand ein Fenster zur Ewigkeit geöffnet hätte,
siehst du im unerträglich weißen Nebel
alles, alles so, wie es w i r k l i c h ist:
Mit dem Kreuz durchschneidet sie den Vorhang aus Rauch,
und in Schönheit, welche nichts zu bereuen hat,
wächst die Heilige Sophia, klar und unerschüttert,
zu einer Legende ins Himmelblau.
27.3.1935
Quelle: Klen, Jurij (1992): Twory. Band 1. New York, S. 119f
Die Sofija meint hier die Sophienkathedrale aus dem 11. Jahrhundert, eine der wichtigsten, schönsten und ältesten Kirchen in Kiew, gebaut nach dem Vorbild der Hagia Sophia in Konstantinopel. Erbaut von Fürst Jaroslaw des Weisen, der im 11. Jahrhundert das Reitervolk der Petschenegen besiegt hatte. Seinen Beinamen erhielt Jaroslaw, weil er die Gesetzessammlung Russkaja Prawda geschaffen und das Senioratsprinzip eingeführt hatte, um die politischen Verhältnisse zu stabilisieren.
TERZINEN
Wenn dich in die ferne Heimat,
wo dich erwarten Schimpf und Schande,
die Fanfare Deiner Sehnsucht ruft,
dann denk‘ an die Worte von Dante:
„Per me si va nella città dolente!“
„Du kommst hierher, voll Kummer, ohne Rat,
die Hoffnung musst du vollständig beenden.“
Zügle, Wanderer die tödliche Sorge,
lösch‘ aus den grauen Tag in der Seel‘
und im schwarzen Himmel erlischt die Sonne.
Möge Vergil, schweigsam und voll Trauer,
dir in den Steppen entgegenkommen
und in Schewtschenkos idyllischem Land des Blau
dich führen zu Städten und fernen Weilern,
wo wir einst erlebten reines Frühlingslau.
Achte auf die schreckliche Magie der Zahlen.
Hier ist die Hölle, der sechste Teil des Erdballs,
am Rand der üppigen Kräuter und grünen Weiden,
den schon Krätze bedeckt hat überall,
der letzte, der neunte Höllenkreis.
Oh, Menschenknochen-Fabriken und Kreml!
Ungeordnete Bewegung – nicht sanft und leis,
wo Chaos im schwarzen Rauche lacht
und Chemie vernichtete den ewigen Geist.
Glasige Blicke ohne Acht
von Müttern, die ihre eigenen Nachkommen
aus Hunger fressen! Oh, Bankett der Nacht,
was sind auf der irdischen Decke Pestwolken!
Oh, der toten Körper purpurrote Hekatomben!
Was sich nannte „Seele“, „Garten“, „Sonnen“
-alles hineingepresst in Dreiecke und Romben.
An jenes Land, an alle Gedanken
heftet die Teufelshand Plomben.
Du, du bist nur ein abgerissenes Blatt,
gedreht von einer unbekannten Macht,
die dich lässt in ihrem unverschämten Reigen tanzen.
Im Neunten Kreis der Hölle heult schwarzer Verrat
zerreißt, brüllt, prophezeit das Verderben
und sperrt auf hunderttausend Rachen.
Von den Häuptern zu diesen Rachen erheben
sich hundert Türme in die Finsternis hoch hinein
und von einnem Turm beobachtet dich eben
ein rastloses Auge im Mantel der Dunkelheit.
Flieh, flieh und rette deine Seele,
nicht dein Leben, verschwinde in die Weite,
grüße das unbekannte Schicksal wie eine Schwester,
atme ein des Willens berauschenden Wirbel,
küsse fremde Büsche und Felsen.
Bleibe obdachlos, bis du stirbst,
streife umher, iss des Unglücks Brot,
wie der stolze Florentiner in seiner Verbannung.
Für die Kinder wiederhole vor dem Tod
jene Erzählung, die blieb wie eine Erinnerung
an eine uralte, vergessene Not,
und wie bei Blitz und Donner im Gewittersturm
das schreckliche Ungeheuer bezwang
der heilige Georg in heller Rüstung
und wie der Drache besiegt niedersank.
27.3.1935
Quelle: Klen, Jurij (1992): Twory. Band 1. New York, S. 120ff