Lyrik von Iwan Malkowytsch

ZUHAUSE

Wieder zu Besuch für zwei-drei Tage,
wieder kann ich doch nicht helfen.
Nervöse, tagträumerische Fragen,
ich beunruhige sie nur, meine Eltern.

 

Kommen wir alle noch einmal zusammen?
Wen finde ich nächstes Mal vor und was?…
Ich reise ab: Mama und Papa im Fensterrahmen
wie huzulische Ikonen hinter Glas.

***

 

MIT EINEM ENGEL AUF DER SCHULTER

(Ballade aus alten Zeiten)

Bei göttlichem Kerzenschein
wandert jemand ganz allein
durch die Nacht, am Rand der Welt,
auf seiner Schulter ein Engelein.

 

Irgendwo ins nirgendwo, geht er ohne Wiederkehr,
geht trödelnd wie ein Kind umher,
das graue Pendel seines Lebens
stößt ihn in den Rücken schwer,

 

damit er bei göttlichem Kerzenschein
nicht wandert nachts und ganz allein,
damit er nicht die Welt durchstreift,
auf der Schulter noch das Engelein.

 

Ein Wirbelwind weht,
Pestherodes‘ Klage tönt,
stärker wird der Pendelschlag,
der Engel, kaum mehr am Leben, stöhnt…

 

Doch er geht weiter, stocket nicht,
die Kerze flackert, kaum noch Licht,
nur seine heißen Lippen zittern:

 

„Vorsicht, Engel, falle nicht.“

***

 

DER GEFANGENE SKOWORODA[1]

Den Wanderstab in der Hand
irret Skoworoda umher,
von Dorf zu Dorf, durch sein Land,
und er kritzelt auf Papier.

 

Ein dünnes Gebräu im Magen,
Rom im Kopf,
Skoworoda verschmort sozusagen
in Katharinas glühendem Topf.

 

Wohin des Weges,
Wanderer, zum Pöbel?
Ihm die „Fabulae Charkovenses“
zu übergeben?

 

Skoworoda unentschieden,
gerät zurück ins Heimatdorf,
versetzt dort Verse rezitierend
die Bauernseelen in Aufruhr.

 

„Geht zwar barfuß dieser Hryz,
doch hat gelernt, wie man Zarisch spricht,
die Zunge in der Zarensprache benützt
er, wenn er vorträgt ein Gedicht.

 

So sind unsere Lieder nicht,
deren Sprache ist wie wir: einfach…
Skoworoda geht. Dicht
qualmt aus dem Kosakenlager Rauch…

 

Das Fangnetz

zieht sich zu…

Der Weg

wiegt ihn

hin und her.

Skoworoda ist voller Ruh‘:

Es sei eine Hängematte, glaubt er.


[1] Hryhorij (abgekürzt Hryz) Skoworoda (1722-1794): ukrainischer Wanderphilosoph und Lehrer, der sich für sein Volk einsetzte. Man nimmt an, dass er weit gewandert ist. Er galt als Häretiker, Idealist und kompromissloser Moralist. Seine Sympathie für die Leibeigenen und seine demokratischen Ideen wurden von der russischen Zarin, Katharina der Großen, und von der Orthodoxie verfolgt. Auch in seinen Werken, z.B. den Charkower Fabeln, propagierte er die Seelenwanderung, ein naturnahes, asketisches Leben, rechtschaffene Arbeit und moralische Selbsterkenntnis als Mittel zur Zufriedenheit. Ihm wird das Sprichwort zugeschrieben: Svit loviv mene, a ne pijmav (Die Welt hat nach mir geangelt, mich aber nicht gefangen). Man beachte auch die Bedeutung des Namens Skoworda – Pfanne.

***

 

An Herbstabenden, Abenden voll Eiseskälte,

Ungewissheit –Zukunft in Kaffeesatz gemalt,

bei vollem Mond die Lungen erhellte

der Karpaten- (von weitem ein Dickicht) Wald.

 

Auch Du auf dem Dache, voll Schaudern und Schwermut,

verwilderst, verglimmst, das Weinglas längst leer…

Obwohl es sich hier so schön von einem Schiff träumt,

zumal es mit gläsernem Rumpf fährt übers Meer.

***

 

Wenn wir zu Fischen werden,

dann ist uns eines nicht bewusst:

Millionen Fische gibt‘s im Meer,

an welche suchen wir Anschluss?

 

Wie werden wir denn dort bestehen,

in jenen Wassern, die alles verschlingen:

Schlamm aufwirbeln? Untergehen?

Oder mit dem Strome schwimmen?

 

Fische sind weniger oder mehr für sich,

nicht gebührend auch uns der Empfang.

Zu den Weichtieren gehören wir lieber nicht…

Doch gibt es bei den Walen eine Vakanz.

 

Werd‘ also Wal, spuck‘ auf die Nerven,

auf Risiko und auf Gefahr,

damit der Harpunier aus der Ferne

deines Körpers Glanz wird gewahr!

 

Blas‘ die Fontäne wie ein Palmgewächs,

schwimm‘ majestätisch und hochgemut,

bereitet es andern auch Kopfzerbrechen,

dass der erste bist – Du,

und der letzte – Du.

 

Wenn du in einer Zeit des Unheils, der Not,

festhängst im schonungslosen Netzegitter,

so rüttele zumindest das Fischerboot,

dass es vor Gänsehaut erzittert!

***

 

BELEHRUNG

 

Sei es vielleicht auch nicht das Wesentlichste,

doch du, Kind,

bist berufen, das brüchige Kerzlein des Buchstaben „ї“

mit deinen Handflächen zu schützen,

 

und auch,

mit ausgestreckten Fingerchen,

die Mondsichel des Buchstaben „є“

zu hüten,

die vom Himmel abgeschnitten wurde

zusammen mit dem Faden.

 

Denn man sagt, Kind,

unsere Sprache gleiche dem Gesang der Nachtigall.

Das ist richtig.

 

Doch sei gewarnt,

irgendwann

kommt vielleicht eine Zeit,

da sich an unsere Sprache

nicht einmal mehr die kleinste Nachtigall

erinnern wird.

 

Daher kann man sich nicht

nur auf die Nachtigallen verlassen,

Kind.

***